Was zwei Monate Vipassana Meditation mit mir gemacht haben

Der Weg zu allem Großen geht durch die Stille.
Friedrich Nietzsche

Manchmal hat man sich etwas in den Kopf gesetzt und es bleibt dann solange in eben diesem Kopf, bis man schon längst die Herkunft des Wunsches vergessen hat, nie aber ihn selbst. So war das bei mir und meinem seltsam nagenden Bedürfnis, in Myanmar ein zweimonatiges Meditationsretreat mitzumachen (wieso dort? Keine Ahnung! Wieso zwei Monate? Keine Ahnung). Nachdem ich es etwa vier Jahre vor mich hergeschoben hatte, hat es sich schließlich zeitlich gut ergeben und ich flog für drei Monate nach Asien- zwei davon würde ich meditierend im Panditarama Forest Meditationszentrum verbringen.

Ich hatte schon Meditationspraxis – allerdings von der Art, wo man sich hinsetzt, sich zu konzentrieren versucht, ein bisschen atmet (ja, eh so wie immer), aber nicht wirklich weiß, was genau man da eigentlich macht. Dennoch hat die Meditation mein subjektives Glücksempfinden innerhalb kürzerster Zeit derart in den Himmel schießen lassen, dass ich die Praxis intensivieren und festigen wollte.

Ich war motiviert, euphorisch und erwartungsfroh als ich in Yangon ankam und gemeinsam mit ein paar anderen in einem klapprigen Bus ins Zentrum gebracht wurde. An Meditation war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu denken, denn es gab viel zu viel zu sehen. Angekommen im Zentrum hatte ich wohl eine Art Religionsschock, denn ich kam aus dem Staunen über Nonnen und Mönche und ihre Gepflogenheiten nicht heraus. Und auch das Staunen über meine eigene Ignoranz, mit der ich das buddhistische Leben betrachtete und beurteilte, waren für die innere Stille nicht gerade förderlich.

Meine anfängliche Motivation hielt also nicht einmal einen Tag an. Wir waren dazu aufgefordert, abwechselnd im Sitzen und im Gehen zu meditieren. Männer und Frauen waren in getrennten Meditationshallen und Wohnbereichen untergebracht, und auch sonst gab es wenig Ablenkung- reden und jeglicher sozialer Kontakt war untersagt. Die letzte Mahlzeit des Tages war um 10.30 vormittags und den Höhepunkt des Tages stellte der sogenannte Dhamma-Talk da; ein einstündiger Vortrag über den Buddhismus und die meditative Praxis, mal mehr und mal weniger spannend. Um 3 Uhr morgens (oder nachts…) trommelte uns der Gong in die erste Sitzmeditation, gegen 21 Uhr abends beendeten wir den Tag mit einem gemeinsamen Metta-Chanten (Metta = liebende Güte), dazwischen wurde meditiert. Alle zwei oder drei Tage gab es ein Interview mit dem Lehrer, der bei der Praxis und Problemen helfen sollte. In meinem Fall war das ein recht junger Mönch, in den ich mich später (wohl aus Mangel an anderen sozialen Kontakten) in einer wilden Phase kurz verknallen würde.

Ich wusste natürlich schon vorher, dass es hart werden würde. Dennoch war mein innerer Widerstand enorm. Vor allem, als die fehlende Ablenkung nach einigen Tagen seine Wirkung zeigte und die äußere Ruhe mich zwang, den Blick wie vorgesehen nach innen zu richten, merkte ich, was für ein nervtötendes Geplapper ständig in meinem Kopf abgeht. So laut hatte ich meine Gedanken davor nicht gehört, und auch nicht so detailreich: Lebenspläne, Phantasien, absoluter Blödsinn, und vor allem viele Gemeinheiten, obwohl ich mich bis zu diesem Zeitpunkt immer für einen einigermaßen anständigen Menschen gehalten hatte. Aber der eigenen Boshaftigkeit, dem Zynismus, der Abneigung gegen die einem vermeintlich feindlich gestimmte Menschheit, kann man nicht entkommen, wenn man alleine mit sich selbst ist.

Die Buddhisten nennen das ständige Springen vom einen zum anderen Gedanken „monkey mind“. Es passiert eigentlich die ganze Zeit, aber nur wenn man einigermaßen bewusst ist, fällt es auf. Mich hat das wahnsinnig gemacht! Mehrmals am Tag wollte ich meinen Koffer packen und meinen lauten Geist in Essen, Sex und Game of Thrones ertränken.

Aber ich blieb und stellte irgendwann fest, dass zwischen den Gedanken eine kleine Lücke ist, in der Frieden und Stille herrscht. Wider der gängigen Meinung geht es beim Meditieren nicht darum, die Gedanken anzuhalten, sondern sie zu beobachten, bis sich der kleine Spalt automatisch erweitert. Mein Lehrer erklärte mir, die Empfindungen von Glück, „innerem Lachen“ (so hat es sich für mich angefühlt- wie einer grinsender Buddha in meinem Bauch) und die inneren Lichtexplosionen, die in dieser Phase eintreffen, gilt es auch zu überwinden. Nichtmal an die schönen Gefühle darf man sich festhalten!

Was danach kommt, habe ich nicht mehr erlebt. Ich schätze, die meisten Menschen bleiben eine geraume Zeit in dieser Phase, einfach, weil sie so schön ist. Die Meditation, die uns gelehrt wurde – Vipassana – heißt allerdings so viel wie „die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind“. Und nicht einfach stehen bleiben, weder in seiner Meditation, noch im Leben.

Nicht aufzugeben war schwieriger als erwartet. Doch nach den ersten zwei Wochen etablierte sich für mich eine Routine, die ich zu genießen lernte- selbst das Aufstehen in der Nacht. Ich muss auch zugeben, dass ich mich nicht an alle Regeln ganz genau gehalten habe (zum Beispiel habe ich nachmittags immer meine vom Frühstück geklaute Banane gegessen, und dazu ein fröhliches Liedchen gesungen [ja, auch Singen war verboten. Und Tanzen!]). Der Frieden, der durch „Mindfulness“ entstand (ein Wort, das durch die deutsche Übersetzung „Achtsamkeit“ etwas von seinem Sinn verliert), ist besser als jegliche Sinnesfreude.

Wenn die Achtsamkeit etwas Schönes berührt, offenbart sie dessen Schönheit.
Wenn sie etwas Schmerzvolles berührt, wandelt sie es um und heilt es.
Thich Nhat Hanh

Ich hatte einige mystische Erfahrungen; Momente, in denen ich alles zu verstehen schien; ich fing sogar wieder an zu beten, da ich einem Gott, an den die Buddhisten nicht glauben, dort näher als jemals zuvor war. Und das, obwohl ich selbst Atheistin bin. Klingt schräg, war es auch. Zwei Monate in Schweigen und Stille machen eben ein wenig verrückt. Und ich denke, es ist die Art von Wahnsinn, die ein glücklicher – und vor allem freier- Mensch für sein Leben benötigt, um im Balance zu sein.

Außerdem wurden eine Menge neurotische, alte Muster ans Licht gebracht und meine teilweise willkürlich aus alten Glaubensätzen zusammengebastelte Persönlichkeit erschien mir klarer. Auch wenn das Analysieren und Nachdenken untersagt war, konnte ich es nicht lassen, täglich neue kleine Erkenntnisse über mich selbst in mein Büchlein zu kritzeln. Und nun, da diese alten wirren Dinge ins Bewusstsein gebracht wurden, kann ich auch damit arbeiten.

Zurück im normalen Leben und der immer noch heiß geliebten Welt mit all ihren Verlockungen, bin ich nach wie vor im Bearbeitungsprozess. Ich merke, dass einige schlechte Angewohnheiten scheinbar von alleine weggefallen sind; ich betrinke mich zum Beispiel nicht mehr so gerne wie früher, da mich die verringerte Wahrnehmung im alkoholisierten Zustand langweilt; aus demselben Grund fällt es mir schwer, den ganzen Tag auf der Couch Serien binge watching zu betreiben. Bei anderen alten „Problemen“ ist mehr Mindfulness notwendig; so kippe ich gerne in eine Schüchternheit, die ich eigentlich schon öfters transzendiert habe. Ich bin aber überzeugt, dass das nur eine übergehende Phase darstellt und wegfallen wird, sobald es seinen Zweck erfüllt hat.

Nach dem ich „draußen“ war, fragten mich einige Leute, ob ich nun ein neuer Mensch wäre. Ich lachte, sagte nein, nur verrückter; bin aber eigentlich gar nicht so abgeneigt von der Vorstellung. Das Ich ist ein kontinuierlicher Prozess, der sich immer wandelt, somit ist der Mensch streng genommen in jedem Moment ein absolut neuer. Wir hängen allerdings gerne an der Geschichte über unser eigenes Selbst, die wir uns immer wieder erzählen, die den ganzen Tag ohne weitere Kontrolle in unserem Geist auf und abläuft. Solange ich dieser Geschichte noch nicht entrinnen kann, möchte ich zumindest die beste Version davon schreiben. Insofern ja, möchte ich gerne ein neuer Mensch sein, zumindest in meiner Illusion.

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